Krankheit (Arbeitsunfähigkeit)
1. Anzeigepflicht/Feststellungspflicht
Auszubildende müssen den Ausbildungsbetrieb unverzüglich benachrichtigen, wenn sie arbeitsunfähig sind. Das erfordert im Regelfall eine telefonische Nachricht zu Beginn der betrieblichen Arbeitszeit am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit.
Die Mitteilung kann auch per Fax, SMS oder E-Mail sowie durch Boten (Angehörige oder Arbeitskollegen) erfolgen. Allerdings trägt der Auszubildende hier die Verantwortung, wenn die Nachricht nicht, zu spät oder falsch ankommt. Die verspätete Anzeige hat keinen Einfluss auf den Fortzahlungsanspruch (BAG DB 1971, 2265), kann aber nach Abmahnung im Wiederholungsfalle zur Kündigung führen.
Die Auszubildenden haben bei Krankheit nur noch eine Anzeigepflicht (§ 5 Abs. 1 EFZG). Mitzuteilen ist, dass und wie lange man voraussichtlich arbeitsunfähig ist. Angaben über Art oder Ursache der Arbeitsunfähigkeit müssen die Azubis nicht machen. Etwas anderes gilt nur bei ansteckenden Krankheiten, vor denen der Arbeitgeber Mitarbeiter und Kunden schützen muss.
Die bisherige Vorlagepflicht bei einer Krankheitsdauer von über 3 Tagen entfällt für Kassenpatienten (5 Abs. 1 a EGFZ). Auszubildende müssen nur noch die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer ärztlich feststellen lassen (Feststellungspflicht) und sich selbst eine ärztliche Bescheinigung aushändigen lassen, diese müssen sie dem Ausbildungsbetrieb aber nicht mehr vorlegen. Dies gilt zumindest dann, wenn dies -wie im Ausbildungsvertrag der Fall- nicht abweichend geregelt ist.
Der Betrieb kann bei der Krankenkasse die elektronische AU einsehen.
Die Krankenkasse übermittelt dem Arbeitgeber folgende Informationen:
· den Namen der versicherten Person
· den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit
· die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung
Der Arbeitgeber erfährt nicht, welcher Arzt oder welche Ärztin krankgeschrieben hat und welche Diagnose gestellt wurde.
Der Betrieb kann von seinen Auszubildenden aber auch schon früher, zum Beispiel am ersten Krankheitstag, eine ärztliche Bescheinigung verlangen (§ 5 Abs. 1 S. 3 EFZG). Ausbildende können das jederzeit verlangen. Eine Begründung ist dafür nicht erforderlich.
Bei Erkrankung im Ausland genügt die Zusendung per E-Mail oder Fax, wenn das Original auf dem Postweg nachgesandt wird.
Wenn die Arbeitsunfähigkeit länger dauert, als in der ersten ärztlichen Bescheinigung angegeben, muss eine erneute ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden.
Auch diese muss spätestens am ersten Arbeitstag nach dem dritten Kalendertag der noch nicht bescheinigten Arbeitsunfähigkeitsdauer vorliegen (§ 5 Abs. 1 S. 4 EFZG).
2. Wann besteht ein Fortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber?
Ist der/die Auszubildende arbeitsunfähig erkrankt, hat er/sie bis zur Dauer von 6 Wochen einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung in voller Höhe gegen den Arbeitgeber (§ 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG, § 5 EFZG). Wenn der Auszubildende am Tage der Erkrankung noch teilweise gearbeitet hat, beginnt die Sechswochenfrist erst am nächsten Tag. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht – sofern tarifvertraglich nichts anderes geregelt ist- nur, wenn das Ausbildungsverhältnis bereits länger als 4 Wochen (nicht 1 Monat!) gedauert hat (§ 3 Abs. 3 EFZG).
Beispiel:
Ausbildungsbeginn: 01.08.
Auszubildender erkrankt vom 15.08 bis 15.09.
Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Betrieb besteht erst für die Krankheitszeit ab dem 29.08 (Ablauf der 4-wöchigen Wartezeit). Für die Zeit vom 15.08. – 28.08. besteht ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 SGB V).
Ein Verzicht des Auszubildenden auf den Fortzahlungsanspruch ist nichtig (§ 25 BBiG).
Bei Betrieben, die - ohne Mitrechnung der Azubis - maximal 30 Arbeitnehmer beschäftigen, erstattet die Krankenkasse des Auszubildenden dem Arbeitgeber 70 - 80 % der fortgezahlten Vergütung (sog. U1-Verfahren, § 1 AAG). Die Erstattungsleistung der Krankenkasse erfolgt vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an. Dazu ist erforderlich, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt wird, die den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit mitumfasst. Nähere Auskünfte erteilen die Krankenkassen.
3. Sanktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann die Fortzahlung der Ausbildungsvergütung solange verweigern, bis der Auszubildende seine Arbeitsunfähigkeit angezeigt hat. Der Arbeitgeber hat also kein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG). Hat der Auszubildende die Arbeitsunfähigkeit schließlich nachgewiesen, muss der Betrieb rückwirkend ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zahlen. Eine Kürzung um die Tage, an denen die Bescheinigung nicht vorgelegen hat, ist nicht zulässig.
Bei wiederholter Nicht- oder verspäteter Anzeige kann der Arbeitgeber nach vorheriger Abmahnung das Ausbildungsverhältnis - je nach Lage des Falles - kündigen.
4. Was passiert nach Ablauf der 6-wöchigen Entgeltfortzahlungspflicht?
Nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums erhält der Auszubildende für längstens 78 Wochen in 3 Jahren Krankengeld von der Krankenkasse in Höhe von 70 % der Bruttovergütung, maximal aber 90 % der Nettovergütung (§ 44 SGB V).
5. Entgeltfortzahlung bei wiederholter Krankheit?
Jede neue Krankheit löst einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber für die Dauer von maximal sechs Wochen aus.
Beispiel:
6-wöchige Arbeitsunfähigkeit im März/April: Armbruch
6-wöchige Arbeitsunfähigkeit im Mai/Juni: Beinbruch
Azubi hat Anspruch auf jeweils 6 Wochen Entgeltfortzahlung
Wird der Auszubildende dagegen wegen desselben Grundleidens erneut arbeitsunfähig (sog. Fortsetzungserkrankung), kann er für alle einzelnen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zusammen Entgeltfortzahlung gegenüber dem Betrieb nur für insgesamt sechs Wochen geltend machen (gem. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG).
Beispiel:
5-wöchige Arbeitsunfähigkeit im März/April: Bandscheibenvorfall
7-wöchige Arbeitsunfähigkeit im Mai/Juni: Bandscheibenvorfall
Gleiches Grundleiden, daher Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Betrieb nur für die 5 Wochen März/April und die 1. Woche Mai/Juni (= insgesamt 6 Wochen).
Für die restlichen 6 Wochen Mai/Juni besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Betrieb, nur Krankengeldanspruch gegen die Krankenkasse.
Etwas anderes gilt hier nur gem. § 3 Abs.1 S. 2 Nr.1 EFZG dann, wenn
1. zwischen zwei Zeiträumen der Arbeitsunfähigkeit mehr als 6 Monate vergangen sind oder
2. 12 Monate seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit verstrichen sind.
6. Hat der Auszubildende Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat?
Bei einer selbst verschuldeten Arbeitsunfähigkeit besteht kein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung (§ 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG, § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Verschulden liegt in der Regel z.B. vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen grob fahrlässigen Verstoß gegen
- berufsgenossenschaftliche Unfallverhütungsvorschriften,
- wesentliche Verhaltenspflichten des Betriebes
- Straßenverkehrsregeln verursacht wurde.
Für das Verschulden des Auszubildenden ist der Betrieb darlegungs- und beweispflichtig.
7. Muss sich der Auszubildende bei Arbeitsunfähigkeit zu Hause aufhalten?
Die Arbeitsunfähigkeit bedeutet nicht zwingend, dass der Auszubildende sich zu Hause aufhalten muss. Er darf allerdings nichts tun, was seine Genesung verzögert oder gefährdet.
8. Kann der Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anfechten?
Grundsätzlich beweist eine attestierte Arbeitsunfähigkeit, dass der/die Auszubildende tatsächlich arbeitsunfähig ist. Will der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit nicht anerkennen, muss er berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitserklärung vorbringen.
Folgende Indizien können den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern:
- Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit durch den Auszubildenden.
- Androhung der Arbeitsunfähigkeit im Falle der Nichterteilung von Urlaub.
- Auszubildender verrichtet Schwarzarbeit oder arbeitet ganztägig beim Eigenheimbau.
- Auffällig häufige oder nur kurze Arbeitsunfähigkeit
- Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um mehr als 2 Tage
- Beginn der Arbeitsunfähigkeit fällt häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche
Bestehen solche Zweifel, kann der Arbeitgeber die Krankenkasse des/der Auszubildenden mit einer Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen beauftragen (§ 275 Abs. 1 Nr. b SGB V). Dieser Auftrag zur Begutachtung muss vom Medizinischen Dienst innerhalb von drei Tagen durchgeführt werden.
9. Werden Krankheitstage während des Urlaubs angerechnet?
Wird der Auszubildende während des Urlaubs krank und kann er diese Krankheit nachweisen, so wird diese Zeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet (§§ 8, 7 Abs.4 BUrlG), d.h. die Krankheitstage gelten dann nicht als Urlaubstage.
10. Kündigung eines kranken Auszubildenden?
Auszubildenden kann auch während einer Krankheit gekündigt werden, d.h. die Krankheit des Auszubildenden verhindert nicht, dass eine Kündigung aus anderem Grund (z. B. verhaltensbedingte Kündigung wegen unentschuldigtem Fehlen in der Berufsschule) wirksam wird. Der Betrieb kann dem Auszubildenden aber wegen einer Krankheit grundsätzlich nicht kündigen.
Kündigung bei Langzeiterkrankung
Bei Langzeiterkrankung kann gekündigt werden, wenn
· feststeht, dass die Eignung für den Ausbildungsberuf infolge der Krankheit (zum Beispiel Allergien) dauerhaft entfallen ist
. oder mit einer Gesundung innerhalb der Ausbildungszeit nicht zu rechnen ist.
Dies ist der Fall, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit der Gesundung zu rechnen ist (BAG 12.04.2002 ; NZA 2002,1081) oder der Azubi bereits 18 Monate arbeitsunfähig erkrankt und seine Gesundung noch völlig ungewiss ist (BAG 21.05.1992; DB 1993,1292).
11. Teilnahme an der Prüfung trotz Arbeitsunfähigkeit?
Der Prüfling darf trotz Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich an der Prüfung teilnehmen; Kranken- und Unfallversicherungsschutz bestehen fort. Eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ist grundsätzlich nicht erforderlich.
Bei praktischen Prüfungen ist der Prüfungsausschuss aber aus seiner Fürsorgepflicht heraus verpflichtet, Azubis von der Prüfung abzuhalten oder nach Hause zu schicken, wenn sie erkennbar prüfungsunfähig sind und die Ablegung der Prüfung ein erkennbares Sicherheitsrisiko darstellen würde.
Wenn ein Prüfling an der Prüfung teilnimmt, obwohl er weiß, dass er krank ist, kann er sich später nicht auf seine Erkrankung berufen und nach Prüfungsende wieder von der Prüfung zurücktreten, sondern muss das Prüfungsergebnis akzeptieren (OVG Schl-H, 23.09.1994, SPE Prüfungsunfähigkeit 596 Nr. 49).